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Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Im Militärdienst erlebte David beeindruckende Geschichten von Zivilcourage. Sie zeigten ihm einerseits, wie fragwürdig eine verliehene Autorität ist, aber auch wie stark diese Organisation Privilegien schützt. Von aktiven Militärs im Jahr 2010 ist zu hören, dass die Geschichten aus der Vergangenheit, die Armee noch heute charakterisieren.

Ad Absurdum
Ja seit Monaten hatte Hugentobler Rückenprobleme, was ihm seine Ärztin attestierte indem sie schrieb, er dürfe nichts tragen. Das war kurz vor dem militärischen Wiederholungskurs. Also sandte er sein Gepäck, Waffe und alles Schwere mit der Bahn an den Einrückungsort. Dort wurde nach einer Weile bemerkt, dass er ohne Ausrüstung dastand. Nach seiner Erklärung, liess man alles auf der Güter-Expetition abholen. Natürlich gab es eine Eintrittsmusterung durch den Truppenarzt. Der verschrieb, Kanonier Hugentobler, dürfe nicht mehr als 10 Kilo Gewicht tragen. Der Soldat überlegte................. Er beschloss im Dienst bei allen künftigen Anfragen zu melden, er dürfe nichts tragen. Mal war ja das der Rat der Ärztin und schon allein die schweren Militärkleider, Schuhe, Gürtel, Bajonett, evtl. Brotsack usw. wären ja schwer genug. Das machte Eindruck und der Hugentobler hatte meist eine Extra-Aufgabe.
So verlief der WK ohne grössere Schikanen. Allerdings – in der dritten Woche war der Divisionär zu einer Inspektion angesagt. Schlags 10 Uhr morgens solle er erscheinen. Und wie es so ist, gab jeder Rang-tiefere seine Viertelstunde Vorangst dazu, sodass die Truppe ab 8 Uhr begann mit Antreten, Spannen von Schnüren, damit ja alle in einer Linie stünden, Ausrichten, Deponieren der Ausrüstung und genaues Anordnen von jeglichen Gegenständen nach vorgeschriebenem Muster. Dies war schon ein Tag zuvor demonstriert und geübt worden und wurde jetzt kommandiert, korrigiert und kontrolliert. Zu aller letzt wurde noch je ein Offiziersputz den Reihen entlang gesandt mit dem Auftrag, alle Schutzspitzen zu polieren.
Hugentobler war an normalen Tagen etwas aufgefallen: die Ausrüstung war jeweils umso geringer, je höher der Rang. Nicht so jetzt. Alle, sowohl Kanoniere wie Unteroffiziere, Offiziere bis hin zu den höchsten Chargen waren gleich ausgerüstet mit Rucksack, Brotsack, Bajonett, Kartentasche und Waffe je nach Rang, Gasmaske, natürlich alle im Kampfanzug und mit Helm. Es wurde gemeldet; Leutnants, den Feldweibeln, diese den Hauptleuten und so weiter bis zu den Obersten oder gar Brigadiers.
Das Klopfen eines Helikopter-Rotors kam langsam näher.
Da fiel einem Vorgesetzten etwas auf: Ein Einziger sah ganz anders aus als alle andern. Voll Schrecken eilte der Adjudant hinzu und schrie, was das denn solle. Achtungsstellung, anmelden, er könne nichts tragen, kam sofort die Antwort. Das wurde hinaufgemeldet, ein Höherer kam angerannt, fragte dasselbe, Achtungsstellung, melden, antworten. Ausser sich vor Zorn wurde gebrüllt: machen sie, dass sie sofort verschwinden! Das geschah. Durch die kleine Tür des grossen Festungstors konnte der Hugentobler, nun allein in der ganzen Festung, beobachten wie der Divisionär seine Truppe inspizierte.
Es dauerte eine ganze Weile, Beanstandungen gab es keine, der Hugentobler hatte seine Freude.

Haarig
Man schrieb das Jahr 1973. Für die ADA (Angehörige Der Armee) wurden Haarschnitt-Vorschriften erlassen und in den Wiederholungskursen (WK) durchgesetzt. Das störte den Gefreiten Hugentobler, der die Funktion eines Gruppenführers innehatte. Es störte ihn, weil er dies als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines Bürgers erachtete. Zudem hatte einer seiner Leute zwar lange Haare, war jedoch ebenso tüchtig, wie alle andern. Allerdings war er Musiker und so gehörte seine Haartracht auf einer Bühne zum „Outfit on stage“. Der Gefreite forderte also seinen Major auf, die Haarschnittkontrolle zu unterlassen (21.11.1973). Ohne Erfolg. Daraufhin lancierte er eine Petition an Bundesrat Gnägi (25. 11. 1973). Obwohl sammeln von Unterschriften nur ausserhalb des Dienstes erlaubt war, unterschrieben im Urlaub und Ausgang des WK sofort 160 Personen. Eindrücklich beim Unterbreiten der Petition waren die Reaktionen von Offizieren. Sie fuhren erste Klasse, meist in Gruppen, gaben entweder keine Antwort, oder wollten keine Meinung äussern. Nur ein Leutnant, der alleine sass, meinte zum Gefreiten, er habe zwar Recht, jedoch getraue er sich nicht zu unterschreiben. Der Gefreite dachte: er drückt sich nicht um eine Stellungnahme, wenigstens ist er ehrlich, aber auch – mit diesem, und erst mit allen andern Offizieren, würden wir also in den Krieg ziehen. Das musste er nicht, er hatte nur wiederholt Sonderaufgaben wie Wache, Küchendienst oder wurde speziell kontrolliert – Klein-Krieg?
Der Gefreite sandte die Petition am 2. 12. 1973 an Bundesrat Gnägi mit Kopie an die Schweizerische Depeschen Agentur. Der Eingang der Petition wurde vom Informationschef Dr. E. Mörgeli bestätigt mit dem Hinweis, des Gefreiten Vorgesetzte würden „nach den Vorschriften des Dienstreglementes verfahren“. Der Gefreite richtete seinen Appell und die Begründung auch an Tageszeitungen. So wurde er z.B. von der Nationalzeitung (5.12.1973, S.3) aufgenommen. Um die Wahrhaftigkeit zu hinterlegen war dabei erwähnt worden, dass 75 % der erreichbaren Wehrmänner der Mob L Flab unterzeichnet hätten.
Jetzt musste sich der Gefreite rechtfertigen, weil er mit der Bekanntgabe der Truppe gegen das Dienstreglement verstossen hätte. Er wurde auch aufgefordert einen bestimmten Unteroffizier als Initianten zu denunzieren. Der Gefreite ging auf letzteres gar nicht ein, wies zum andern darauf hin, dass oft Pressemitteilungen erschienen, welche Truppeneinteilungen oder gar Offiziersgrade enthielten verfasst von der Armee selbst. Nun war die Angelegenheit begraben – weder von Vorgesetzten noch vom Eidgenössischen Militärdepartement war je wieder etwas zu vernehmen.

Der Gefreite war kein Landesverräter.
Hätten sich die Verantwortlichen doch nur erinnert:
„Wenn in einer Armee der Haarschnitt ein Problem darstellt, so ist etwas nicht in Ordnung mit dieser Armee.“ Divisionär Trautweiler, Offiziersrapport 1970.

Strafe muss sein
Er wurde zur Sonntagswache abkommandiert: Korporal Fuchs. Pflichtgetreu las er den Wachbefehl.
Ausser der Wache waren noch verschiedene Aufgaben aufgeführt wie z.B. Offiziere mit Jeep herumführen oder alle Baracken heizen. Nach Konsultation des Dienst-Reglements bemerkte Fuchs, dass der Wache eine besondere Bedeutung zukam, es war untersagt, andere Aufgaben als Wache auszuführen.

So meldete er dem Wachoffizier, er könne diesen Wachbefehl nicht annehmen. Der wollte dies erst nicht weiterleiten, meldete es dann seinem Vorgesetzten, dieser orientierte den nächst Höheren und so fort bis zum Kompanie-Kommandanten der sich gerade im Urlaub entspannte. Nun erhielt Fuchs einen Telefonanruf und erhielt den neuen Wachbefehl diktiert. Allerdings wusste der ja nicht, ob der Anrufer der war, als den er sich ausgab, ob er die Befugnis zur Änderung hatte und ob das telefonisch zu regeln wäre. So bestand er darauf, der neue Wachbefehl müsse schriftlich vorliegen. Dies erzeugte – wenn auch unberechtigt – Unmut. Anderntags kam endlich der korrigierte Wachbefehl.

Nach dem Wochenende zitierte der Major alle Offiziere und den Korporal Fuchs zu sich. Er entschuldigte sich und gestand den Fehler ein. Die Offiziere schluckten leer.
Fuchs kam ins studieren; Chapeau dem Major für sein Eingeständnis, aber auch - aha wenn sich der Verantwortliche entschuldigt, ist alles erledigt, Konsequenzen gibt es nicht. Wie wäre das, wenn ein Soldat auf der Wach einschläft. Würde er bestraft, oder müsste er sich einfach entschuldigen?
Das Dienstreglement gibt Antwort:
Ein Untergebener wird bestraft, ein Vorgesetzter entzieht sich der Konsequenzen durch seine Entschuldigung. Der Korporal wurde in der Folge besonders beachtet, er erhielt Sonderaufträge, nicht immer aber immer öfter, Motto: Dem Militär ist nichts zu schwer.