Als Unterbau zu diesem Thema dient die Selbsterkenntnis eines unbekannten Menschen:
„Kann ich wohl plötzlich ein andrer Mensch sein? Immer wieder heisst es, man müsse einen festen Charakter haben. Aber wie oft habe ich doch Hemmungen beim Gefühl, nicht nach dem Geschmack anderer Leute zu sein. Könnte ich denn nicht ein Universalmensch werden? Ein Mensch, der alle Eigenschaften hat und doch keine. Ein Mensch, von dem nur die gute Gesinnung zu Tage tritt. Einer, der alles und alle versteht, weil er sich in jeden Menschen hineinversetzen kann. Einer, der, wo er auch auftritt, den Frieden bringt und ihn leuchten lässt in den Herzen aller.
Das wäre mein Wunschbild, aber warum erreiche ich denn dieses Ziel nie? Wie anders bin ich doch im täglichen Leben. Wieviele Gehässigkeiten treten da auf, die mit nur ein wenig mehr Grosszügigkeit weggefegt werden könnten. Wer hindert einen denn, nur das Schöne, Liebe zu sagen und das Schlechte zu unterdrücken? Niemand! Also bin ich es selbst, der sich im Wege steht. Was aber treibt mich doch eher zum Guten hin? Es ist der Wille, das Ziel des Universalmenschen zu erreichen. Wenn nun aber dieser Wille mit dem Alter erlöschen würde? Ich wäre es nicht mehr würdig Mensch zu sein!“
Mit diesem Beispiel wurde versucht, den gesuchten Unterschied darzustellen. Der beschriebene Mensch zeigt sich in zwei verschiedenen Lebensarten. Sein Wille, dem unerreichbaren Ziel immer zuzustreben, stellt die Kunst dar. Sein alltägliches Leben sind die „anderen Äusserungen“. Ein Kunstwerk wird geformt durch die wahre Gesinnung des Menschen. Es ist nicht das Produkt seines gewöhnlichen Lebens, sondern das seiner ureigensten Vorstellung des Seins.
Der Mensch will sich durch sein künstlerisches Schaffen der Welt aus seinem Innersten mitteilen. Daher wirkt ein wahres Kunstwerk durch seine Reinheit und Einheit, wohingegen andere Äusserungen des Menschen sich nie von Unklarheiten lösen können. Eine Bestätigung dieses Satzes findet sich wieder beim Menschen selbst. Personen, die sich ihr Leben lang bemühen etwas Künstlerisches hervorzubringen, sind in ihrer Art viel zielbewusster als solche, die sich über ihr Leben höchst selten Rechenschaft ablegen.
Jeder Künstler hat ja auch etwas Gemeinsames mit dem Philosophen: beide suchen die „causa prima“. Der Philosoph versucht restlos nach seinem Grundsatz zu leben. Der Künstler befreit sich von seinem Suchen durch sein Kunstwerk. Das Leben des Philosophen wie auch das Kunstwerk, zeigen mit aller Deutlichkeit den Unterschied zwischen ihrer Einzigart und der Ungewissheit der anderen Äusserungen des Menschen.
Pierre Mollet, 17.08.1962 Kantonsschule Aarau