1. Die Fakten
Er war vielfältig interessiert. Es fiel ihm schwer, sich nach der Matura für eine Studienrichtung zu entscheiden, liebte er doch Geschichte ebenso wie Philosophie, Biologie, Architektur, Kunst, Handwerk oder eigenes Musizieren. Alles, was mit Leben zusammenhing, nahm ihn in Beschlag. Nur gab es dafür keinen Beruf, meinte er. Es war der Vater, der ihm den Weg wies, weniger weil er seine Interessen kannte, als weil er befürchtete, David könnte Opfer seiner Eigenschaften werden. Einerseits war er ohne Fleiss – allerdings nur wenn ihn etwas nicht interessierte – andrerseits konnte er sich sehr in etwas vertiefen, sobald ein Thema spannend wurde. Man entschied sich für Naturwissenschaften an der straff geführten ETH Zürich.
Der Anfang war schwer, weil David wegen Militärdienst erst vier Wochen später beginnen konnte. Zudem wurden in der Vorlesung über Zoologie so viele Fremdwörter verwendet, die er nicht verstand. Erst später entdeckte er, weshalb Professoren oder andere Privilegierte das nötig hatten. Unter dem Titel „Neuer Analphabetismus“ fasste er zusammen, was damit bewusst oder unbewusst bezweckt wurde: Man konnte Mangel an echtem Verständnis verstecken oder gar die andern so deklassiere, dass sie an ihrer Intelligenz zweifelten. Letztlich ist es eine zwingende Methode Abhängigkeit zu erzeugen, was in der Welt der Privilegienwirtschaft nur förderlich ist.
Fünf lange Semester quälte sich David ab mit Mathematik, Chemie und Physik, nur Geologie fand er interessant. Immerhin – die Prüfungen hatte er bestanden. Dies obwohl er lieber andere Vorlesungen besuchte; Kunstgeschichte, Philosophie, Reading of Tom Jones an der ETH, oder Tiergartenzoologie und Biologie an der Uni. Auch Botanik, Pflanzenphysiologie und Mikrobiologie interessierten ihn nicht besonders. Erst bei den ersten Praktika in Entwicklungsbiologie und Genetik wurde sein Interesse geweckt.
Für die Diplomarbeit schrieb er sich ein für Strahlenbiologie. Mit unendlichem Elan opferte er nicht nur Tage sondern auch Nächte und Wochenenden für seine Versuche. Nach einem Jahr waren diese Arbeiten abgeschlossen, eine Nacht wurde noch für letzte Skriptkorrekturen durchgearbeitet, sodass er seine Arbeit morgens acht Uhr seinem Professor für Zoologie übergeben konnte. Zur allgemeinen Kaffee-Pausen erschien auch der Professor, der anscheinend die Arbeit bereits durchgelesen hatte.
Sein Kommentar: Herr David, sie haben noch Mühe mit den Kommas. Nun begann David mit seiner Doktorarbeit über erb-schädigende Wirkung von Chemikalien. Das Thema war nicht nur interessant, sondern auch brisant. So entdeckte er zum Beispiel, dass ein bestimmtes Pflanzenschutzmittel allein keine vererbbare Schäden erzeugte; auch ein Konservierungsmittel nicht. Verfütterte man jedoch die beiden Stoffe gleichzeitig, bewirkten sie eine hohe Zahl von Erbschäden.
Aufgerüttelt von diesem Phänomen und auch von anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen in dieser Zeit, begann er sich zu engagieren. Er publizierte nicht nur in Fachzeitschriften, sondern gelangte auch an Zeitungen und korrespondierte mit dem Eidgenössischen Gesundheitsamt. Er wollte, dass die Macht der Chemischen und Pharmazeutischen Industrie besser kontrolliert würde. Wie heftig der Widerstand würde, hatte er sich nicht vorstellen können.
Drei Tatsachen spielten eine Rolle: er schrieb nicht nur wissenschaftlich viel, zeitweise mehr als das Institut, bei dem er arbeitete, sondern konnte auch im „bild der wissenschaft“ publizieren, was seinen Vorgesetzten vorenthalten blieb. Er beschrieb das Problem auch in Tageszeitungen. Zudem forderte er das Eidgenössische Gesundheitsamt auf, die Bewilligung von Chemikalien nicht nur von toxikologischen Tests abhängig zu machen, sondern auch ihre erb-schädigende Wirkung prüfen zu lassen. Das Amt reagierte äusserst zögerlich, dann verschleiernd, und letztlich gar nicht.
David schrieb für den Tagesanzeiger einen umfassenden Artikel, der zeigte wie brisant das Thema war, machte Vorschläge zur Bewältigung und wies auf die Untätigkeit der Behörden hin (Erbschäden durch Chemie: In der Schweiz nicht unter Kontrolle, Aargauer Tagblatt 17. Sept. (1977) 7. und Badener Tagblatt, 27.4. (1977), 33). Der Artikel wurde von der Verantwortlichen Redaktorin des TA so verwässert, dass David nicht mehr dafür zeichnen wollte. Aber er schrieb einen Leserbrief, in dem er die Fakten einerseits aus der Sicht der Wissenschaft zurechtrückte und andrerseits das Verhalten der Behörden darstellte. Der Leserbrief endete mit dem Satz: aus all diesen Gründen zweifle er am Verantwortungsbewusstsein, der Eidg. Gesundheitsbehörde.
Noch bevor der Leserbrief erschien, wurde David von einem seiner Vorgesetzten angerufen: „Ich habe gehört, sie wollen einen Leserbrief veröffentlichen, Herr David, das ist nicht gut für sie.“ Es war nicht gut für ihn, denn er liess den Leserbrief trotzdem erscheinen. Er war auch angestellt im Rahmen eines Nationalfondsprojektes, das Untersuchungen und Testmethoden zur mutagenen Wirkung von chemischen Stoffen beinhaltete. Bald erhielt er von seinen Vorgesetzten, dem Professor seines Instituts und dem Direktor einer Forschungsanstalt die Nachricht, sie würden dieses Projekt nicht mehr weiterführen.
Geradlinig wie David dachte, zweifelte er nicht am Sinn und der Qualität der Untersuchungen. Er gab sein Projekt beim Nationalfond selber ein. Bis es behandelt wurde, hatte er noch einige Hintergründe aufgedeckt: Der Direktor der Forschungsanstalt war selber Experte bei der Bewilligung von Pflanzenschutzmitteln und seine beiden Vorgesetzten hatten sehr wohl das Mutagenitäts-Projekt wieder eingegeben, allerdings ohne Mitarbeiter David. Doch es geschah etwas Erstaunliches. Davids Projekt wurde gut geheissen, das seiner beiden Chefs abgelehnt; Balsam für Davids Seele. Nur war damit sein Engagement nicht gerettet.
Beim Nationalfonds galt nämlich eine Bedingung die lautete, ein Gesuchsteller dürfe nicht gleichzeitig Lohnbezüger sein. Also musste David auf die Suche nach einem Professor, der als Hauptgesuchsteller auftrat. Er schrieb die wenigen Professoren an, die in Frage kamen. Der Chef des Toxikologischen Instituts lehnte ab, er war verbandelt mit den Wenigen, die in der Schweiz überhaupt in diesem Gebiet tätig waren.
Die Chefin des physikalischen Instituts sagte zwar zu, aber David wusste, dass er mit ihr kaum zusammenarbeiten konnte, war sie doch von der Atomlobby immer wieder als befürwortende Expertin in Front gerückt worden. Zudem hatte David mit seiner Diplomarbeit aufgezeigt, dass die Professorin ihre strahlenbiologischen Untersuchungen falsch interpretierte. Also das konnte nicht gut gehen.
Ein Professor der Universität Zürich interessierte sich, aber wollte nicht als Hauptgesuchsteller auftrete, weil er damit seine eigenen Projekte gefährde. Jedoch sah er eine andere Lösung. Er fragte seinen ehemaligen Chef und damals „Biologiepapst der Schweiz“, der tatsächlich zusagte. Gerade diesen Professor bewunderte David. In einem Seminar beider Hochschulen hatte er nämlich einen Vortrag gehalten mit der Frage, wie Erbschäden entstehen können und welche Art von Mutationen in welchen Prozessen zustande kämen (Reparatur von Erbschäden in lebenden Zellen, Bild der Wissenschaft, April (l977), Nr. 4, 68-78).
Sein Kommentar: Herr David, woher wissen sie das alles.
Jetzt war alles klar, das Projekt konnte weitergeführt werden.
Leider ereilte das Schicksal den krebskranken Biologieprofessor. Damit starb auch das Projekt, David wurde arbeitslos und musste sich nach einer weniger brisanten Tätigkeit umsehen. Eine andere Genugtuung stellte sich erst 40 Jahre später ein und bestätigte Davids Eindruck, seine Chefs hätten ihn aus Neid oder Konkurrenzangst abgeschossen: 2015 wurde der Nobelpreis für Chemie an drei Forscher vergeben die genau im selben Bereich tätig gewesen waren – „Reparatur von Schäden am Erbgut“.
2. Hintergründe und Bilanz.
Während seiner Forschertätigkeit, machte David einige Erfahrungen, zur Freiheit der Wissenschaft; nicht etwa ethische Einschränkung standen im Vordergrund, sondern vielmehr wirtschaftlich oder politische. Wie in Teil 1 dargelegt, waren es Professoren, die eine freie Forschung behinderten.
Einerseits weil sie Unterstützung erfuhren von der Atomlobby oder der Chemischen Industrie oder weil ihnen ihr Prestige wichtiger war, als wissenschaftliche Erkenntnisse. Auch bei der täglichen Laborarbeit, wurde die Präsenz der Wirtschaft eindrücklich. So interessierte sich z.B. ein Vertreter der Chevron Chemical Company für die neuesten Resultate der Tests auf Erbschäden. Da wurde auch gerne offeriert, das alte Mikroskop durch ein neues zu ersetzen. Oder sobald sich negative Resultate ankündeten, wurden die entsprechenden Schritte eingeleitet, was man an Treffen zwischen Behörden und Vertretern z.B. der Pharmazie bemerkte.
Geriet etwa ein Produkt unter Beschuss, gab es verschieden Verzögerungstaktiken: Internationale Regelung vor Schweizerischer oder umgekehrt, falls die Internationalen strenger waren; Negierung der Gefahr mangels Beweisen; Antönen von Entzug der Unterstützung der Institute. Während dieser Verzögerung war man schon lange am Werk, ein neues Produkt zu finden. Wenn dann ein Verbot ausgesprochen wurde, war man also gerüstet mit neuer Chemie, der Zirkus konnte von vorne beginnen. Die Behörden – das war eigentlich der Skandal (und gilt bis heute) – waren dem nicht gewachsen, sie setzten sich nicht ein für ihre Bürger.
Meist waren sie Hasenfüsse oder fachlich zu wenig kompetent, oder nur am bequemen Fortgang ihrer Anstellung interessiert. Anscheinend ist das System-immanent. Die Fortdauer der Mängel ist umso erstaunlicher, als schon lange absolut tragische Konsequenzen bekannt sind. Zu erinnern sei da an die Missbildung fördernde Wirkung von Contergan; an Asbest mit seiner hohen Toxizität oder an die Dioxinkatastrophe in Seveso oder, oder, und, und …….. bis zur Ölkatastrophe im Golf von Mexico.
Es gibt nur eine Schlussforderung, Privilegien, einmal erwirkt, werden mit Klauen und Zähnen verteidigt. Der Mensch lebt in einer materiellen Welt und verhält sich logischerweise materialistisch. Wo, wann und wie besinnt er sich auf andere Werte?