Für alle war es ein Ereignis – die Tour de Suisse. Schon von früheren Jahren waren die grossen Fahrer ein Begriff. Und auch jetzt hörte man seit Tagen, sie würden bald hier durchfahren.
Endlich konnte ich die Sportler sehen, die meine Phantasie schon lange beschäftigten. Ich war damals in der ersten Klasse, oder gar älter? Jedenfalls wusste ich, sie würden am Aarequai vorbeifahren. Ich fieberte, wer wohl zuvorderst wäre: Koblet, Kübler, Schär, Bartali oder Fausto Coppi und wie sie alle hiessen. In mir drin sah ich all die Berühmtheiten in klaren Bildern.
Alle hatten sie so eine Art Militärvelo. Das war das einzig Gleiche. Aber sonst. Bartali fuhr mit wehendem Bart, ein bisschen angegraut; Schär hatte eine grosse Schere geschultert; Coppi fuhr einhändig, die geballte Faust schräg in die Höhe gestreckt; Kübler hatte am Guidon einen Kübel angehängt, einen Ochsner-Patentkübel. Nur bei Koblet hatte ich Mühe, mir ein Bild zu machen. Aber das Problem löste sich, als ich im Badzimmer einmal lesen konnte, wie der Rasierapparat meines Vaters hiess: Kobler. Nur war da bestimmt ein Fehler passiert. Der hiess sicher Koblet.
Der Tag der Vorbeifahrt kam. Es herrschte dichtes Gedränge am Strassenrand. Ich konnte mich zwischen- und untendurch schlängeln bis zum Trottoirrand. Welche Aufregung als all die Töff und Lautsprecherwagen vorbeifuhren. Sogar ein Fähnli konnte ich ergattern. Die Spannung wuchs und endlich erspähte man die ersten Fahrer. Ich schaute und schaute, blickte wie gebannt auf all die Fahrer, die so rasch und dicht gedrängt hintereinander her fuhren.
Alle sahen gleich aus, ich kannte keinen. Alle gleich, jeder wie der andere. Wo waren sie denn? Mit dem Bart, dem Kübel, der Faust, der Schere, dem Rasierapparat. Alles ging so schnell vorüber. Ich konnte es kaum fassen. Alle meine Bilder stimmten nicht. Die Enttäuschung war gross und dauerte fünfzig Jahre an bis heute. Meine Fahrer sehe ich noch immer, die echten nimmer.