I
Unter rosenbehangenem Baldachin sitzen die feinen Leute und geniessen den Sonnenuntergang. Es ist der letzte schöne Tag für lange. Der See funkelt in reinem Silber und ruhig plätschern Gespräche und Wasser. Noch nie hatte es soo viele Leute hier. Doch jemand fehlt – unbemerkt von allen – fast allen. Die Königin der Liebe. Verborgen ist sie und doch vielbekannt aber meist versteckt. Zärtlichkeit ist nicht von dieser Welt. Selten.
Ein Mann macht nach langen Jahren neue, ganz neue Erfahrungen. Bis jetzt hatte er die Vorstellung der treuen Liebe… Mann schläft nur mit wem man verheiratet ist, oder sein wird, oder es sich vorstellen kann. Er hätte sich nicht vorstellen können, dass seine Frau die Liebe ausprobiert, sich hingibt ohne an eine Dauer der Freund- und Liebschaft zu glauben. Sich in alle Intimitäten verliert, zittert, vibriert und bebt in den Armen des Moments und nicht der Ewigkeit.
Doch langsam gewöhnt er sich oder besser er lernt, die Zukunft auszulassen. Oder hat er sich selbst was vorgemacht. So viele Liebesbeziehungen die nicht erdauerten. War da etwa der Moment ohne Zukunft vorprogrammiert? Das Festhalten an einer Zukunft, nur Angst vor dem Moment, dem Leben überhaupt?
Wer weiss es. Jedenfalls – er wandelt sich, es wandelt sich – sie wandelt sich? Nein nicht schon wieder diese Romantik. Noch im Wandel hat es der Mann schwer – zu sein und nicht zu werden. Dabei lernt er doch jetzt die neue Liebe kennen. Nähe im Moment. Hautnähe ohne Zukunft. Intensität im Jetzt.
Konzentration auf die kurze Zeit der Empfindung der Liebe, des Körpers, des Schosses, des Mannes im Mann. Lange Zeit, kurze Zeit – aber eben nicht ewig, nicht dauerhaft, nicht treu, nicht zukunftsgläubig. Dafür stark, zärtlich, jetzt, oft, offen, intim, nahe, ganz nahe – in sich in ihr in Eins – in der Hoffnung, die Erinnerung bleibe wenigstens länger. Ach wieder Romantik! Nach einer Liebe kommt die nächste – oder eben nicht. Nieder mit den Alpen – freie Sicht aufs Mittelmeer!
II
Sie sagte: „Ich werde Dich für ihn verlassen, ich werde es nochmal probieren.“ Welch ein Schock! Wie sich so was sagen lässt. Es war allerdings ehrlich. Und was sonst? Erst seit Tagen waren sie sich nähergekommen, war seine Liebe erwidert worden und jetzt? Abbruch. Verletzung. Blut. Verzweiflung. — Fehlalarm.
Dabei war die Entscheidung doch schon lange gefallen. Die Liebe war schon erloschen und Enttäuschung hatte ihr Platz gemacht. Aber das zu glauben, war schwierig für sie – die Trauer zu gross, die Verzweiflung zu tief, die Wut noch nicht gewachsen. Dabei war es gar nicht möglich zurückzukehren. Sie hatte sich schon einer neuen Liebe hingegeben. Und das war schon die Wende. Alles andere Nachspiel, Einsicht in die tiefsten Gefühle, die selbst der Verstand nicht überspielen konnte.
Zärtlichkeit hatte sie weggefegt, hatte sie überrascht. Beharrlichkeit hatte sie beeindruckt, Gefühle hatten sie erweckt, einfühlsames Warten hatten sie überzeugt. Aber wahrhaben wollte und wollte sie es nicht. Obwohl ihr ganzer Körper diese neue Liebe wahrnahm, sie sich immer tiefer in ihr bewegte. Wessen Überzeugung ist denn das? Welche Einbildung! Der Verstand sagt anderes: Jetzt war eine Liebe erloschen, die erstmals auch mit Freude erotisch war.
Nein erloschen war sie eben nicht, sondern immernoch da und sie versiegte nicht – auch nicht bei allen Versuchen, sie zu ertränken. Selbst Hingabe an einen Andern liess die ursprüngliche Sehnsucht nicht vergehen. Selbst nie gelebte Zärtlichkeit und innige Berührung liessen nicht vergessen.
Es war doch alles nur Ersatz, „Sich-trösten-wollen“ vom Einzigen nicht geliebt zu werden. Wie konnte er nur nicht zu ihr stehen? Wie sollte sie es ertragen, nicht die Liebe, sondern nur Geliebte zu sein? Nie, nie. Flucht nach wo? Wohin? Nur Liebe lässt Liebe vergelten. Aber echt muss sie sein. Echt muss sie sein und das wird sich weisen.
Abgrundtiefe Verzweiflung für ihn, Enttäuschung, Misere, Trauer und Wut für sie. Wann wird sie wieder jene Nähe, jenes Verständnis, jene Vertrautheit, jene erfahrene Sensibilität erleben? Wann kann sie sich wieder so hingeben mit offenem Schoss, mit offenen Augen, mit zugedeckter Haut, mit erfülltem Schoss? Sie weiss es, und behält es für sich. Wie weiss sie es, wann weiss sie es? Durchdrungen wird sie sein von Erleben, Erfahren, Erfühlen und Weisheit.
III
Ein Gang über die Felder der Liebe ist es. Zarter Flaum bedeckt die weiche samtene Haut und bestreicht seine Fingerspitzen und Lippen. Hügel sind zu erstreicheln und festere Hügelchen zu ertasten, zu kosen, zu umzüngeln. Feines Zittern durchströmt die Landschaft. Ein Beben durchwogt den Innenraum. Schenkel öffnen sich und geben Lippen frei, die in ihrer Geschmeidigkeit wie Balsam die Finger berühren.
Weichheit, Nässe, fliessende Häärchen in der Hügelgrotte. Es duftet nach Erregung und Erotik und Hingabe. Sie duftet nach Zitronen und Rosen und Schweiss und heiss. Welch wohlige Gefühle, welch Aufgehen im Geniessen – zeitlos, endlos und fortschreitend. Hin zum völligen Aufgehen im Andern, hin zum völligen Eingehen im Andern. Hin zum vertrauten Vertrauen in den Moment und die Ewigkeit. Ich bin, wenn ich Liebe bin. Wir sind in der Liebe. Ekstase, Meditation, Höhepunkt und Ruhe in einem. Vertrautheit, Erregtheit, Vibrationen und Visionen in beiden. Sich lösen ist schwer.
Zusammensein ist die Endstation der Sehsucht und endlich erreicht. Auseinandergehn ist hehr nur im Bewusstsein keines Verlusts. Die Lösung dauert ewig und je grösser die Liebe, um so ferner das Ende. Ein Ende gibt es so gar nicht. Die Körper, die Selen, die Hügel und Höhlen, die Glieder und Flügel umschlingen sich, verweben sich, verschmelzen und lösen sich. Bis hin zum Dösen, hin zum Träumen, Schlafen, Wachen in der Liebe. Verschmelzen ist nicht Schmelzen. Hören ist fühlen, fühlen ist spüren, spüren ist sehen, sehen ist riechen und schmecken ist lecken über alle Sinne, alle Poren alle Ohren ohne Zeit und doch endlich. Du bist ich. Ich bin in Dir und Du in mir. Wir sind Liebe.
Pierre Mollet, l993