Davids Freund Juan hat eine neue Reiseart erfunden. „Kapitän zu Land“ oder „Travel Art“ nennt er sie, weil er weiträumig verschiedene Häfen anfahren kann, wo er jeweils empfangen wird. Er meldet sich bei allen Partnervermittlungen, nimmt Kontakte auf, sucht sich angenehme Begleiterinnen aus, stellt sich eine Reiseroute zusammen und fährt durch Europa an die Orte seiner Sehnsüchte. Ob sie immer angenehm sind, stellt sich erst bei der Begegnung heraus. Jedenfalls kennen sich die Erwählten am Ort der Begegnung aus und ein solches Treffen verspricht Spannung, weil es voller Überraschungen ist.
Zuerst entsteht natürlich ein Briefwechsel, bei dem sich viel Spreu vom Weizen scheidet – beiderseits. Oder es lässt sich erahnen, ob ein Meeting Erfolg versprechend sein könnte. Das gehört alles zu Erhöhung der Brisanz, dem Entfliehen der Einsamkeit und natürlich der Abenteuerlust. Was er da alles für Erlebnisse hatte, ist erheiternd, traurig, lustig, tiefschürfend bis makaber.
Zuerst die Meetings ohne Zukunft:
Im Lachseminar
Treffpunkt war „zum Isak“ in Basel. Er hatte einen Tisch reserviert, etwas abseits, damit sie ungestört waren. Er war früher dort und wartete. Da er nie, oder fast nie, ein Date abmachte, ohne vorher ein Foto gesehen zu haben, erkannte er sie sofort. Ja das Bild stimmte überein. Selbstverständlich ist das nicht, denn es passiert oft, dass ein Foto aus früheren Zeiten stammt.
Eigentlich ist es höchst spannend, wie sich alles auf diesen ersten Moment der Begegnung konzentriert. Einerseits weil sich herausstellt, ob die gesammelten Eindrücke sich bestätigen, andrerseits weil sich ziemlich bald eine Entwicklungsrichtung einstellt. Jedenfalls war Juan nach solchen Begegnungen immer müde, weil er mit voller Konzentration dabei war. Ob beim selber Erzählen oder beim Zuhören, er achtete intuitiv auf alle Äusserungen: Mimik, Gestik, Tonfall, Emotion, Empathie. Diesmal war der erste Eindruck eher flach, sie bestellten das Essen, erklärten ihre Anreise und bald begann die Frau ihn nach allerlei zu fragen.
Er berichtete, ging darauf ein, bis ihm auffiel, dass sie ihn eher ausfragte wie in einem Interview, als aus persönlichem Interesse. Da hielt er inne, fragte woher sie käme, ob sie Familie hätte, nach Verwandten und so. Die Antworten waren immer sehr knapp oder nur ja oder nein, wie wenn sie nichts von sich Preis geben möchte.
Da fragte er, was ihre Beschäftigung sei.
Sie gäbe Lachseminare.
Ja wie das denn vor sich gehe.
Das sei schwierig zu erklären.
Ein tieferes Gespräch kam nicht mehr zustande. Nach dem Essen verabschiedeten sie sich bald. Er werde sich wieder melden.
Im nächsten Mail bedankte er sich für die nette Unterhaltung und es sei ihm aufgefallen, dass er (zwar eher innerlich), nur einmal Lachen konnte; als sie erklärte, sie gäbe Lachseminare. Ein Echo blieb aus.
Tiefenpsychologie
Immerhin löste sie ein Rätsel, sonst hätte sie nie Kontakt aufnehmen können. Das wertete er positiv, denn er hatte sich eine neue Strategie zurechtgelegt. Da er sein Leben lang immer gemeint hatte, um Liebe müsse man sich bemühen, wollte er einmal den Spiess umdrehen. Am Anfang stünde ein Bemühen der Zukünftigen. Er schrieb: Meine Liebe, als NoMember bin ich ein Rätsel (Frosch). Wenn du es löst (mich küsst), weisst du so ziehmonlinelich alles über mich. Du hast den Schlüssel gefunden und das Tor zu mir steht offen. Herzlich …………… ((ein Schlüsselwort und Initialen)).
OK sie hatte ihn gefunden und sie machten einen Treffpunkt aus. Er lag in der Mitte zwischen ihren beiden Wohnorten und in ihrer ehemaligen Heimat. Dort begegneten sie sich und schauten gemeinsam übers Land, sie erzählte wo sie gewohnt hätte und was aus der ihr bekannten Umgebung geworden sei. Anfangs ganz lieblich, er wäre gern näher gerückt. Sie legte Wert darauf, ihre Ausbildung in Tiefenpsychologie darzulegen.
Dann waren allmählich ernstere Themen im Fokus. Es enspannten sich heftige Dispute, bis er merkte, dass eine Verständigung, eine Verträglichkeit in der Differenz, nicht möglich war. Oder – eine andere Variante: wenn er eine Meinung äusserte, gab sie zu verstehen, das sei nicht neues, das wisse sie schon lange. Sie konnten sich nicht finden, nach langen, teils heftigen Diskussionen verabschiedeten sie sich. Danach passierte lange nichts, er wollte seinen Eindruck lieber für sich behalten.
Doch ein Mail folgte: „Lieber Juan, ganz sicher warst du froh, als du mich so „gäbig“ losgeworden bist. Aber ich muss schon sagen, nicht besser als andere, keine Reaktion, nicht ein Wort zum Abschied. Schade, dass ganz normale Gepflogenheiten des Umgangs heutzutage verloren sind, ja gar belächelt werden. Aber ich bin an sich nicht erstaunt, so verhalten sich Männer eben in der Norm. Tschau, keine Angst, alle deine Daten sind bei mir gelöscht. Gruss Terib”
Ohjee jetzt legte er sich an mit: “Ok du forderst es heraus. Zuerst ein Mail, das mich charakterisiert. Die Person erkannte es in 10 Minuten:
Sehr geehrter Herr Juan Sie persönlich kennen zu lernen hat mich sehr gefreut. Während der Besichtigung, der zu vermietenden Wohnung, hinterliessen Sie den bleibenden Eindruck eines tiefgründigen, kreativen Menschen in mir.
Durch meine Neugierde gelang ich auf Ihre hervorragende Website, welche mein Gefühl bestätigte. „Wunderbare Texte, welche spontan zu aktiven Bildern werden, begleitet durch feine Hintergrundmusik“.
Und dann zu deiner Person Terib:
Ich wundere mich, wie viel du von Tiefenpsychologie verstehst. Zwei Sorten von Antworten dominieren, entweder entschiedener Widerspruch oder „das wusste ich schon lange“. Meine Antwort wollte ich dir ersparen. Oder (vielleicht) forderst du sie heraus, um deine tiefenpsychologischen Selbsterkenntnisse zu erweitern. Voilà der normierte Mann. In deinem letzten Satz steckt übrigens ein Bedauern, dass du nicht anders kannst.
Herzlich Juan
Quer
Der Mailkontakt entwickelte sich positiv. Es wurden Bilder ausgetauscht. Das Porträt gefiel ihm, jedoch bei der Foto der ganzen Gestalt, stellte er sich intuitiv die Frage: was ist mit den Füssen? Die Frage stellte er im nächsten Mail. Eine Antwort folgte sofort: das erstaune sie, ja werfe sie um, wenn er auch nie mehr etwas von ihr höre, sei sie beeindruckt. Doch er hörte wieder, die Sache mit den Füssen wurde geklärt, sie hätte sich die sehr quer stehenden Zehen operieren lassen. Jetzt vereinbarten sie, sich an einem bestimmten Tag an einem Ort im Schwarzwald zu treffen. Später kam eine neue Nachricht, der Morgen sei belegt und am Abend müsse sie auch zeitig zurück sein.
Er war skeptisch bei so viel Einschränkung, machte sich jedoch zeitig auf den Weg. Weil das Wetter schlecht war, erreichte er das Ziel schon am Mittag obwohl sie sich erst um vier Uhr treffen wollten. Da kam plötzlich ein Telefon, sie getraue sich bei dem Wetter nicht zu fahren, sie müsse absagen. Er erklärte, er sei schon am Ort und das Wetter könne sich ja noch ändern bis in vier Stunden. Sie liess sich nicht darauf ein, und sagte ab. Jetzt war Juan wütend, er wartete noch ein wenig, fuhr dann den weiten Weg wieder nach Hause.
Leben im Widerspruch
Ein schöner Herbsttag, er spielte Boule am „Hofgarten“ in München, wartete jedoch vor allem auf die Begegnung. Denn sie hatten abgemacht, sich dort beim „Tambosi“ am Hoftor zu treffen. Frühzeitig gab er das Spiel auf, beobachtete, ob eine Frau sich suchend bewege, sah tatsächlich eine, sprach sie an, aber die wartete auf eine Freundin – sie hätte ihm nicht gefallen. Eine andere umkreiste die Tische auf dem Platz vor dem Tor, fand letztlich einen Stuhl, setzte sich und schaute weiterhin umher. Eine Brille trug sie, das wäre richtig, aber sie war blond. Im Zweifel nahm er sein Mobiltelefon und rief die Nummer, seiner Erwartung an – keine Reaktion.
Er war erleichtert, sie hätte ihm nicht gefallen, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Jetzt läutete sein Telefon. Hallo, wo er sei. Sie begrüssten sich, Juan erklärte, schritt durch das Tor hindurch und sah sie mit dem Fahrrad auf ihn zukommen. Ja das entsprach ihrer Selbstbeschreibung und seiner Vorstellung. Sie glich der Gotte seines Bruders, die er mehr mochte als seine eigene, weil sie so lieb und herzlich war. Das wäre ein gutes Zeichen, dachte er. Er umarmte die Fremde, sie liess ihr Velo stehen und sie einigten sich, im Innenhof Kaffee zu trinken.
Nach zögernden Einführungsworten fanden sie sich im Gespräch – jetzt war klar, dass es intensiv und beidseitig positiv verlaufen könnte. Bald beschlossen sie, in einem Restaurant im „Englischen Garten“ Essen zu gehen. Mit den Fahrrädern machten sie sich auf den Weg, setzten sich in einen Biergarten, bestellten und setzten die angeregte Diskussion fort. Leider wurde es immer frostiger, sie mussten den Platz wechseln, unter einem Heizstrahler war jedoch die Kälte vom Grund her noch da.
Im Gegensatz dazu wurde die Frau wärmer. Die kühle, abwartende, etwas distanzierte Haltung lockerte sich.
Er wäre gerne ein wenig näher gerückt. Sie erzählten sich gegenseitig Teile aus ihrem Leben und führten interessanten Gesprächen zu ihren Lebensansichten. Darunter erzählte er ihr auch, sie gleiche der Gotte seines Bruders. Sie fragte natürlich, was das bedeute und er erklärte es mit den ähnlichen Gesichtszügen und einer Geschichte zur Person. So verlief das Gespräch ohne Unterbruch, echt und angeregt ohne irritierende Pausen oder suchende Längen. Die Frau wurde immer weicher. Beim Abschied, schlug sie vor, sich wieder zu treffen, er erklärte, er versuche es einzurichten auf dem Rückweg.
Lange dachte er über die Begegnung nach, fühlte sich hingezogen, aber sah auch die Schwierigkeiten. Die Frau hatte einmal ihr ganzes Leben umgekrempelt, war jetzt Alleinerziehende mit einem fünfzehnjährigen Sohn, hatte eine guten kunstbetonten Beruf und lebte hunderte von Kilometern weit weg von ihm. Er dachte nicht weiter. An dem Abend hatte er sich erkältet, er reiste weiter nach Wien, beschloss aber wegen der Erkältung früher zurückzufahren und Kontakt mit der Frau in München aufzunehmen. Das gelang. Schon am Telefon war wieder die anfängliche Distanz zu spüren, aber sie verabredeten sich. Die Suche des Treffpunktes war schwierig, die Einigung auf einen geeigneten Sitzplatz ebenso.
Im Gespräch gelangten sie rasch an zwei wesentliche Punkte. Zum einen erläuterte sie, wie sehr sie den Abend geschätzt hätte, ja danach melancholisch geworden sei. Jedoch sei sie überzeugt, dass sie ihr jetziges Leben nicht ändern möchte. Zum andern nahm sie den Standpunkt ein, es sei unmöglich, sein Leben komplett zu ändern. Er hingegen vertrat die Ansicht, bei intensiver Suche nach Selbsterkenntnis, könne das erreicht werden, jedenfalls in einem Bereich wo man ein Verhaltensmuster ablegen möchte und es wirklich anstrebe. Sie fanden keine Annäherung der Standpunkte oder keine Differenz- Verträglichkeit. So verabschiedeten sie sich – sie hielt auf Distanz, er umarmte sie trotzdem.
Schade, dachte er, den Pfad des Überredens, Überzeugens hatte er ja zum Glück verlassen. Das war eines seiner Verhaltensmuster, die er ablegen konnte.
Nur – sie hatte ja einmal ihr ganzes Leben umgekrempelt.
Lass es, dachte er weiter – es ist wie es ist. Doch werde er ihr seine Sicht noch darlegen, es war ja wieder ein schönes Erlebnis, das Ganze zu Papier zu bringen.
Die Meetings mit Zukunft:
Wien, La Côte d`azur, Berlin, Graz, Villach Schade, David erhielt kein OK die weiteren Bekanntschaften Juans zu beschreiben, jedenfalls nicht im Detail. So scheint es, dass er mehr Freude hatte an den Kurzschlüssen, was aber selber ein Kurzschluss ist.
Alle endeten in schönen Freundschaften, was zwar nicht spektakulär aber weittragend blieb. Er war begeistert von seiner Erfindung „Travel art“, empfand es als Pendant zur globalisierten Welt. Er fühlte sich als Kapitän, wenn auch nur zu Land. David spürte fast ein bisschen Neid.
Pierre Molet, 2013