Hell war der Kindergarten in der Dependence des alten Primarschulhauses. Die beiden langen Fensterreihen, die eine Ecke des Raums bildeten, liessen viel Licht herein. Eine Wand – jene mit der Tafel – war meist mit Zeichnungen, Bildern oder Basteleien behangen. Auf dieser Seite befand sich auch der „Kreis“ mit Stühlen, in dem wir allmorgendlich vom „Guetzli“ empfangen wurden. So nannten wir Fräulein Gut insgeheim.

Neben dem Kreis waren Reihen von Arbeitstischen aufgestellt und von der Decke hingen grosse Kugellampen. Der Eingang befand sich auf der Gangseite, wo sich anschliessend die vielen grossen Wandschränke aneinanderreihten. Da waren all die Herrlichkeiten eingeschlossen: Spiele, Farben, Farbstifte, Neocolor, Zeichenpapier, Karton und verschiedenste Spiele, darunter auch die Linsen-Lege-Kartons und das „Matador“, eine Art Holz-Meccano.

Immer wenn ein Kind Geburtstag hatte, durfte es wählen, welches Spiel heute speziell herausgegeben wurde. Ich „plangte“ immer, dass endlich wieder das „Matador“ gewünscht würde. Ich plangete viel. Ansonst legte ich zwei Jahre lang Linsen.

Das Spiel ging so: Wir erhielten einen Karton, auf dem die Konturen eines Fisches mit verschiedenfarbigen Punkten aufgezeichnet waren. Dazu gab es Plastklinsen in den gleichen unterschiedlichen Farben. Dann durften wir auf jeden Punkt die Linse mit der entsprechenden Farbe legen. Das machte ich zwei Jahre lang. Ausser an einem Tag – ich hatte Geburtstag – da durfte ich mit dem Matador spielen.

Es gab allerdings ein Ereignis, das die zwei Jahre entzweischnitt. Eines Morgens wachte ich auf und erzählte der Mutter, heute fiele der „Chindsgi“ aus, „s’Guetzli“ hätte das gestern gesagt. Deshalb zog mir Mama das Übergwand an und nicht die schönen Chindsgikleider mit dem Znünitäschli. Ich freute mich, den ganzen Tag auf die Strasse zu dürfen um zu spielen.

Kaum war ich draussen, kam René daher – zu meiner Verwunderung mit dem Znünitäschli – und fragte mich, ob ich denn heute nicht mitkäme. Ich erklärte ihm, es falle heute aus, das Fräulein habe das doch gestern gesagt, ob er das vergessen hätte. Nun, René wollte das nicht wahrhaben.

Ich jedoch war derart überzeugt, dass ich mich anerbot, mit ihm in den Chindsgi zu gehen, um ihm zu zeigen, dass er nicht aufgepasst hatte. Wir spazierten den gewohnten Weg, vorbei an dem interessanten Transportgeschäft mit dem eindrücklichen Namen, und oh Schreck, schon von weitem sah man Licht. Es war Herbst. Die Kugellampen waren durch die Fenster deutlich zu sehen. Vielleicht hatte jemand das Licht brennen lassen. Ich glaubte noch immer, die Tür wäre geschlossen. Aber auch die war offen.

Wie gewohnt wurden wir im Kreis empfangen. In einem Spiel wurde mir eine Handglocke auf den Kopf gesetzt und ich durfte, eine Runde drehen mit dem Ziel, die Glocke nicht zu verlieren. Fräulein Gut bemerkte verwundert, wie ich denn heute angezogen sei. Schüchtern blieb ich eine Antwort schuldig.

Danach durften wir an unsere Plätze an den Tischen und es wurden uns Spiele zugeteilt. Ich legte Linsen. Erst zwanzig Jahre später wurde mir bewusst, dass ich das Ausfallen des Chindsgi geträumt hatte in der Nacht zuvor. Und wieder zwanzig Jahre später lernte ich durch Zufall eine Kindergärtnerin kennen, die am gleichen Ort unterrichtet hatte. Sie erzählte, es sei eine sehr schwierige Zeit gewesen.

Aber die Zustände bei Fräulein Gut seien letztlich unhaltbare gewesen. Manchmal habe die Kindergärtnerin nur mit Mühe – sich dem Gartenhag entlang angelnd – zur Schule kommen können. Vereinsamung, Alkohol. Sie sei vorzeitig pensioniert worden. Bei der Räumung hätten sie Wandschränke, vollgestopft mit gehorteten Farbstiften, Malkasten, Zeichenpapier, Kartons und Spielen, vorgefunden – all den Herrlichkeiten, die wir so selten zu sehen bekommen hatten. Sie hätten sich ein Gewissen gemacht, denn bald nach Ihrer vorzeitigen Pensionierung sei die Frau gestorben. Ich mochte es ihr gönnen und erschrak darob.